Ausgabe SA 02/12 · Juliane Votteler

Heimat oder: Das Leben ist schön

Als wir in Hongkong ankamen, war die Außentemperatur 24 Grad und die Luftfeuchtigkeit bei 90 Prozent. Bei unserer Abreise waren wir früh aufgebrochen, denn in Baden-Württemberg war „schneefrei“, und wir fuhren zwischen hohen Wällen von Alt- und Neuschnee zum Flughafen, also hatten wir Angst vor Staus und Verspätungen. Die Maschine musste enteist werden, der Flug aber verlief völlig ruhig. Nun standen wir in unseren Winterkleidern und starrten von Kowloon auf Hongkong. Herausgeworfen aus einer Welt und hineingekippt in eine andere. Das gesichtslose Hotel hatte uns nicht beeindruckt. Aber die Situation am Fähranleger von Kowloon und die atemberaubende Hochhaussilhouette machten uns alle sprachlos. Um meinen noch gestern glattfrisierten Kopf ringelten sich gefühlte dreitausend Locken. „Gehen wir rüber“, sagte der Bühnenmeister neben mir, „um 18 Uhr ist Verständigungsprobe im Chorsaal.“Er war schon zwei Tage da. Wir folgten ihm. Die Fähre, der kleine Bus, das Gewimmel der Menschen, die offenen Küchen, die Gerüche. Dann das Gebäude, nicht wie ein Theater, eher eine große Kongresshalle mitten in der Stadt.

Ein Seiteneingang, ein Pförtner. Wir zeigten unsere Plastikausweise, die wir um den Hals trugen. Stolz: Wir gehören dazu. Ein Lift, 4. Stock. Die Tür geht auf: Wumm, da ist es: das Gefühl, daheim zu sein. Es ist dieser Geruch der Bühne, der in allen Nebengängen der Veranstaltungsorte dieser Welt zu riechen und zu schmecken, manchmal nur zu ahnen, manchmal aufdringlich, fast scharf zu spüren ist: eine Mischung aus Staub, Schweiß, Holz, Wärme und etwas Undefinierbarem: Ich vermute es ist nicht Angst, sondern Lampenfieber.

Lampenfieber ist genauso ein Begriff wie der, den ich gerade suche: Heimat. Er ist nicht in Worte, Bilder oder Gefühle für mich zu fassen, sondern nur in allem zusammen…

aus Ausgabe SA 02/12

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