Heimat ist etwas Selbstverständliches, dabei ist es ebenso ein gesellschaftliches, politisches, kulturelles, emotionales und abstraktes Gut. Von Schriftstellern als romantischer Rückzugsort oder Utopie beschrieben. Von Philosophen als Kristallisationspunkt menschlicher Identifikation bejaht, verworfen, verneint oder als sozialer Raum ausgeleuchtet. Schließlich von Heimatpflegern auf Bewahrung von Brauchtum und Sammeln von Kulturgut reduziert. Meist ist aber Heimat von persönlichen Erfahrungen geprägt und von individuellen Sehnsüchten begleitet.
Auf die Frage: „Was ist für Sie ganz persönlich Heimat“, würde wohl keiner einwenden, er fühle sich nirgendwo aufgehoben, er wisse nicht, wo er hingehöre. Die Auskünfte würden so vielfältig wie die unterschiedlichen Biographien der Menschen ausfallen: „Der Ort meiner Kindheit!“ , „Wo meine Freunde sind“, „Wo ich mich wohlfühle“. Der würzige Duft von Allgäuer Bergwiesen kann ebenso ein Gefühl von Heimat auslösen wie der jährliche Gang zur Christmette. Für die meisten Menschen ist es der Ort, „an dem wir wurden, wer wir sind oder es ist der fehlende Ort, an dem wir nicht werden konnten, wer wir werden wollten“ (Katrin Göring-Eckhardt, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland). Für den österreichischen Schriftsteller Jean Améry, Sohn eines jüdischen Vaters und einer katholischen Mutter, 1938 nach Belgien emigriert und 1943 von der Gestapo verhaftet, hatte Heimat sowohl eine politische als auch eine gesellschaftliche Dimension. In seinem Essay „Wie viel Heimat braucht der Mensch?“ hat Améry notiert: „In der Heimat leben heißt, dass sich von uns das schon Bekannte in geringfügigen Varianten wieder und wieder ereignet. Das kann zur Verödung und zum geistigen Verwelken im Provinzialismus führen, wenn man nur die Heimat kennt und sonst nichts. Hat man aber keine Heimat, verfällt man der Orientierungslosigkeit, Verstörung, Zerfahrenheit.“
Aber eines eint alle, die jemals ein Gefühl von Heimat erfahren durften: Heimat ist immer auch gefährdet und zerbrechlich. Im Großen wie im Kleinen. Und heute – in einer Zeit, in der die Welt zum globalen Dorf geschrumpft ist – macht sich zunehmend das Gefühl breit, dass Heimat als individuelle Erlebniswelt stärker bedroht ist denn je. Es scheint, dass eine diffuse, eine an nichts Konkretem festzumachende Befürchtung von Verlust an Heimat die Menschen am Anfang des 21. Jahrhunderts stärker für das Thema Heimat sensibilisiert als in den letzten fünf Dekaden zuvor. Zumindest im (mittel)europäischen Kulturraum, der nach einer jahrzehntelangen Phase der Prosperität in heraufziehenden Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit nach Orientierung sucht.



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