Die Nüchternheit des Besprechungszimmers ist kaum zu toppen, für Ästheten sind Licht und Meublement am Rande des Erträglichen. Doch der Raum verliert sogleich seine freudlose Schäbigkeit, wenn Natalya Boeva und Jihyun Cecilia Lee, beide 29 Jahre jung, die eine aus dem russischen St. Petersburg, die andere aus der südkoreanischen Provinzhauptstadt Suwon, eintreten. Sie nehmen durch ihre erfrischende Art diese unwirtliche Kammer, die die Theatermacher im Augsburger Martini-Park eigentlich bei ihrer täglichen Arbeit inspirieren sollte, so wohltuend in Beschlag, dass sich jeder Gedanke an Flucht verbietet. In den nächs-ten zwei Stunden dreht sich dann alles um die Welt der Oper und die Sangeskunst. Die schale Atmosphäre verliert sich unversehens, wenn die beiden vom Temperament so unterschiedlichen Sägerinnen über ihre Rollen, ihr Rollenverständnis und ihre Ambitionen sprechen.
Da wird das Disputieren und Plaudern zu einem anregenden und amüsanten Diskurs, weil Lee und Boeva sich herzhaft bemühen, der deutschen Sprache sehr wohl die Feinheiten zu entlocken, wenn es um die unmissverständliche Beschreibung ihres künstlerischen Anspruchs, Strebens und Niveaus geht. Ausgelassen, ja übermütig wird die Runde mit Operndirektor Daniel Herzog, als Lee über das Aphrodisiakum „Applaus“ spricht, dem sie nicht mehr entsagen möchte, und ihre Kollegin Boeva vielsagend einwirft: „Ja, ja – Sopran!“ Im nächsten Moment schwebt virtuell ein Cartoon im Raum, das offensichtlich allen Opernsängerinnen und -sängern präsent ist und süffisant aufspießt, an was die Künstler in Wahrheit denken, wenn sie auf der Bühne stehen und singen: Der Bass sieht sich gelassen an einem Ufer sitzen und angeln. Der Tenor malt sich einen Sack voll Geld aus. Die Sopranistin träumt vom nie enden wollenden Beifall des Publikums. Der Bariton denkt beflissen an seine Technik. Und zu guter Letzt schwärmt die Mezzosopranistin mit umflortem Blick vom Bariton. Als alle Charaktere mit einem Augenzwinkern durchgehechelt worden sind, kehrt das Gespräch wieder schnell zu den Zielen und Vorstellungen zurück, die Boeva und Lee mit ihrem Engagement in Augsburg verbinden.

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Ausgabe 04/2018 · Feuilleton
Am Golde hängt doch alles
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