Wer über Bayerisch-Schwaben in seiner heutigen Gestalt berichten will, muss den Blick weiter zurücklenken als ins Jahr 1954, als der moderne Bezirk gegründet wurde. Eine Tiefensonde will hinabgelassen sein in Napoleons Feldherrenzelt zu Brünn, wo der „Weltgeist zu Pferde“ im Winter 1805, nachdem er sich halb Europa unterworfen hatte, die Beute verteilt. Der bayerische Kurfürst, welcher sich auf die Seite des Siegers laviert hatte, erhoffte sich neben der Königswürde auch vertraglich zugesicherte Gebietserweiterungen,
nicht zuletzt „possessions Bavaroises en Souabe“, jene Territorien zwischen Allgäu und Ries, die bis dato im Besitz verschiedenster Herrschaften zersplittert waren wie ein Fleckerlteppich.
WIE ALLES BEGANN – BEVOR ES BEGANN
Dem Münchner Sondergesandten im Hauptquartier des Siegers, Karl Ernst Freiherr von Gravenreuth, obliegt es, das Möglichste herauszuschlagen. Als
er erfährt, dass die Gebiete um den Bodensee und bis Kempten an Württemberg gehen sollen, legt er scharfen Protest ein. Dies erzürnt Talleyrand,
welcher – bestochen – für Württemberg eintritt. Napoleon beendet das Geschacher: „Eh bien, prenez“ („Nehmen Sie“), woraufhin Gravenreuth die für
Bayern reklamierten Territorien auf einer Landkarte einzeichnet. Napoleon nickt es ab: „Ceci est pour la Bavière.“ Talleyrand tobt: „Aber der König von
Württemberg?“ Des Kaisers Antwort: „Je le veux, écrivez!“ (Ich will es so – schreibe er!“). Später soll Napoleon gesagt haben: „Dieser kleine Kerl [Gravenreuth] hat mir die Stirn geboten“ (edition:schwaben 2/2017). „Bayerisch-Schwaben wäre nicht bayerisch ohne Gravenreuth“, davon ist der
Neresheimer Historiker Karl Raberg überzeugt. Ohne den riskanten Einsatz des Freiherrn im zynischen Pokerspiel der Großmächte um Räume und Menschen wäre es wohl Württemberg gelungen, sich „den Großraum Augsburg nebst weiten Teilen Schwabens“ einzuverleiben. So ging der knallbunte Teppich aus 164 Herrschaften im neuen Königreich Bayern auf – säkularisierter Kirchenbesitz von Hochstift Augsburg und Fürststift Kempten, Klöster wie Ottobeuren, Irsee, Edelstetten, Ursberg, Roggenburg; Feudalbesitz wie Grafschaft Oettingen, Markgrafschaft Burgau, Fugger’sche Besitztümer in Mittelschwaben; nicht zuletzt die ehemals freien Reichsstädte Lindau, Kempten, Kaufbeuren, Memmingen, Augsburg und Nördlingen. Das alles wurde nun bayerisch, nicht zur Freude jedes neuen Untertanen (vom Thalhofener Pfarrer ist der Ausruf überliefert: „Wir sind also bayerisch: Gott gnade uns allen!“) – und musste verwaltet werden, seit 1817 als „Oberdonaukreis“. Als erster „Generalkommissär“ amtierte sinnfälligerweise Karl Ernst von Gravenreuth. So gibt es – vor dem Jahr 1954 – zwei Geburtsjahre des Bezirks Bayerisch-Schwaben, die weitgehend in Vergessenheit geraten sind:
1805, als seine Territorien an Bayern gingen; und 1817 mit der Etablierung des „Oberdonaukreises“ als Vorläufer.