Großschriftsteller, Gigant mit einem gewaltigen Werk, streitbare nationale Ikone der bundesrepublikanischen Literatur, Geschichtsschreiber des deutschen Volkes, Inbegriff des Nachkriegsintellektuellen – diese superlativischen Charakterisierungen treffen so in dieser Bündelung auf keinen anderen deutschen Autor zu als auf Martin Walser. Dass er zur lebenden Legende wurde, verdankt er auch der Gnade eines biblischen Alters von 96 Jahren mit ungebrochener Schaffenskraft. Noch in seinem letzten Lebensabschnitt brachte er Jahr für Jahr ein neues Werk heraus, auch nachdem er 2016 in dem Roman „Ein sterbender Mann“ das Altern und den Tod zum Thema gemacht hatte. Im selben Jahr, im Alter von 89 Jahren, führte er noch eine Rangliste der 500 wichtigsten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum an. Ein streitbarer Geist blieb er bis zuletzt, als er noch eine Resolution
zum Ukraine-Krieg unterzeichnete.
KATHOLISCH GEPRÄGT
Mit den beiden anderen großen Repräsentanten der deutschen Nachkriegsliteratur, Heinrich Böll und Günter Grass, teilt Martin Walser die kleinbürgerliche Herkunft und die katholische Prägung, ein Novum, denn bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs dominierten im deutschen Kulturraum die protestantischen und jüdischen Autoren aus wohlhabenden, eher großbürgerlichen Milieus wie Thomas Mann, Lion Feuchtwanger und Alfred Döblin. Den zehn Jahre älteren Heinrich Böll verband mit Martin Walser und Günter Grass, die beide demselben Jahrgang 1927 wie übrigens auch Papst Benedikt XVI. angehörten, die gemeinsame Erfahrung dieser Generation, unter der nationalsozialistischen Herrschaft aufzuwachsen und diesem Regime nicht nur als Flakhelfer sondern auch als Soldat dienen zu müssen, ohne irgendeine Schuld an seinem Zustandekommen zu tragen. Alle drei Autoren stammen nicht aus dem deutschen Kerngebiet zwischen Frankfurt, Hamburg, Berlin und Leipzig, sondern eher aus der Peripherie, Böll aus
Köln, Grass aus Danzig und Walser aus einem Dorf am Bodensee im südwestlichsten Zipfel Bayerns. Erstaunlich und merkwürdig ist es dann doch, dass ausgerechnet der repräsentativste, in gewisser Weise „deutscheste“ aller bundesrepublikanischen Schriftsteller nicht in einer großen, historisch bedeutenden Stadt, sondern in einem malerischen, idyllisch wirkenden Winkel an der südlichen Grenze des Landes beheimatet ist, wo einem ständig die Schweizer Berge vor Augen stehen.



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