Der Vorgang, den es in seinem Wesen zu beschreiben gilt, war nahezu in allen Kulturen mal eine religiöse Zeremonie, mal eine politische Gunstbezeugung, mal ein ganz individueller Akt. Konkret geht es um das Schenken, „die freiwillige Eigentumsübertragung einer Sache oder eines Rechts an den Beschenkten ohne Gegenleistung“. Die Wurzeln des Schenkens reichen weit zurück in die Menschheitsgeschichte, und der Schenkende wollte dem Beschenkten stets uneigennützig eine Freude bereiten. Nach landläufigem Verständnis ist Uneigennützigkeit das Wesen jedes Geschenks. Möchte man meinen. In Augsburg legen ein Unternehmer und die ihm wohlgesonnene „Augsburger Allgemeine“ den Kerngedanken von einem selbstlosen Gabenaustausch jetzt auf eine äußerst eigenwillige Art und Weise aus.
Der gescheiterte Bauunternehmer Ignaz Walter scheuchte Ende April die Augsburger Stadträte mit seinem Ansinnen auf, er wolle eine „exklusive Tiefgarage“ unter der Fuggerstraße, der zentralen Verkehrsachse zwischen Königsplatz und dem Stadttheater, errichten. Und damit gedankenfaule Augsburger noch vor dem ersten Spatenstich mitbekommen, welche Wohltat die künftige „Fugger-Makro-Tiefgarage“ für die Stadt und ihre Bürger sei, bediente sich Walter der „Augsburger Allgemeinen“, um die Augsburger auf den richtigen Trichter zu setzen. Den Lautsprecher für Walters Garagenpläne machte Jürgen Marks, stellvertretender Chefredakteur der „Augsburger Allgemeinen“. In seinem Bericht „Ignaz Walter macht der Stadt ein Angebot“ (25. April 2018) wurde Marks nicht müde, Walter als Philanthropen zu zeichnen, der seine Heimatstadt liebe und der seiner Vaterstadt mit dem Bau einer Tiefgarage nur einen Gefallen tun möchte. Um die Generosität des Unternehmers den Lesern der „Augsburger Allgemeinen“ nahezubringen, zitierte Marks in seinem Bericht Ignaz Walter gleich dreimal mit dem Wort „Geschenk“: Von einem „Jahrhundert-Geschenk“ für die Augsburger, dass man „ein solches Geschenk“ nicht ablehnen könne, dass insbesondere für die Theaterbesucher eine nahe Garage ein „Geschenk“ sei, war bei ihm zu lesen. Solche Purzelbäume schlägt man als Autor nur, wenn man sich der gebotenen journalistischen Distanz entledigt hat. Die Kernfrage, welche Aufenthalts- und Lebensqualität Augsburg künftig seinen Bürgern in der City bieten soll und die eigentlich am Beginn jeder verantwortungsvollen Diskussion über neue, innerstädtische Parkräume stehen müsste, sparte die Zeitung in diesem wundersamen Bericht geflissentlich aus.

https://www.edition-schwaben.de/022018-2/
Ausgabe 02/2018 · Feuilleton
Das Geschenk
War die Leseprobe zu kurz? Abonnieren Sie jetzt die Edition Schwaben!


AUSGABENARCHIV
02/2006
03/2006
04/2006
01/2007
SA 01/07
02/2007
03/2007
SA 02/07
04/2007
01/2008
SA 01/08
02/2008
03/2008
SA 02/08
04/2008
01/2009
02/2009
03/2009
SA 01/09
04/2009
01/2010
SA 01/10
02/2010
03/2010
SA 02/10
04/2010
SA 01/11
02/2011
03/2011
SA 02/11
04/2011
01/2012
SA 01/12
02/2012
03/2012
SA 02/12
04/2012
01/2013
SA 01/13
02/2013
03/2013
04/2013
01/2014
SA 01/2014
02/2014
03/2014
04/2014
01/2015
SA 01/2015
02/2015
03/2015
04/2015
01/2016
SA 01/2016
02 / 2016
03 / 2016
04/2016
01/2017
SA 02/2017
02/2017
03 / 2017
04/2017
01/2018
SA 02/2018
02/2018
03/2018
04/2018
01/2019
02/2019
03/2019
01/2020
02/2020
03/2020
04/2022
01/2023
02/2023
Architektur
03/2023
04/2023
01/2024
02/2024
Architektur
03/2024
04/2024
01/2025
02/2025
Architektur
03/2025