Die Skulpturen des Bildhauers Dietrich Klinge stehen für archaische Kraft, überbordende Expressivität und spirituelle Tiefe. Eine Ausstellung aktueller und bekannter Arbeiten von Dietrich Klinge in der Venet-Haus-Galerie in Neu-Ulm zu kuratieren und zu präsentieren, dürfte deshalb eine der spannendsten Herausforderungen sein, die sich Verena Schneider und Terence Carr von der Neu Ulmer-Kunst GmbH bisher gestellt haben. Die mächtigen Plastiken des in Thüringen geborenen und heute im mittelfränkischen Weidelbach lebenden Künstlers in die Strenge eines modernen Galerieraums einerseits und die Versunkenheit eines alten Gemäuers andererseits sensibel zu positionieren, macht dieses Ausstellungsprojekt – vom 25. November 2014 bis 8. Februar 2015 in der Galerie im Venet-Haus – zu einem singulären Erlebnis.
Das Venet-Haus beinhaltet eine anmutige Verbindung von Skulptur, altertümlicher Festungsarchitektur und White Cube. Benannt nach der 37 Meter hohen Stahlskulptur, die Bernard Venet 2006 für die Fassade des Neubaus geschaffen hat, fügt sich das Haus treppenförmig an die Kaponniere des Eisenbahnblockhauses, das nach 1850 als Ergänzung der Bundesfestung Ulm geschaffen worden war, und beinhaltet im Erdgeschoss den Ausstellungsraum der Galerie: weiße Wände, weiße Decke, eine mit Sichtblenden verschließbare Glasfront zum Innenhof. Eines der großen Raumkonzepte der Moderne also, das die ungebrochene Konzentration auf die Exponate gewährleistet, umgekehrt aber auch in der Kritik steht, diese aus ihrem Kontext zu reißen und ästhetizistisch zu verklären. Dann jedoch verfügt die Galerie noch über einen zweiten bespielbaren Raum, denn durch ein gläsernes Foyer ist sie mit dem Eisenbahnblockhaus verbunden, dessen wallförmiges und bewachsenes Dach übrigens die formale Anregung für die dreifache Staffelung von Terrassen auf dem Venet-Haus gegeben haben mag. Hier liegt auf der kniehohen Sockelzone ein grobes Backsteingewölbe, das den quadratförmigen Grundriss als Abfolge niedriger Zwickel unterteilt. Schießscharten zeugen vom ursprünglichen Zweck des wuchtigen, kleinen Fortifikationsbaus: Der Neutralität des einen steht die auratische Aufladung des anderen Ausstellungsraums der Galerie gegenüber.
Hier sollen nun also Arbeiten von Dietrich Klinge ausgestellt werden. Die Spannung des Vorhabens entsteht aus dem Urtümlichen dieser Bildwerke, denn Klinges Skulpturen – archaisch anmutende und in expressivem Stil geformte menschliche Figuren – entfalteten ihre Wirkung bei vergangenen Ausstellungen am eindringlichsten im sakralen Raum, wiewohl sie selten dezidiert religiöse Sujets bedienen. Es sind ganz auf das Wesentliche reduzierte Darstellungen existenzieller menschlicher Regungen, wobei diese Konzentration immer wieder durch Stilisierung verdeutlicht wird: Gliedmaßen werden überlängt oder fortgelassen. Die Mimik eines Denkers vermag durch die V-förmig hervortretenden Brauen in ihrer Intensität gezeigt zu werden, die Augen selbst bleiben nur angedeutet, oder die Brüste eines weiblichen Akts stehen hervor, während die Arme fehlen. Unweigerlich erinnern solche Formen an prähistorische Artefakte, an rätselhafte Ethnographika verschollener Kulturen.



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