Als im März 2008 der Augsburger Rechtsanwalt Kurt Gribl eher durch Zufall als durch politisches Kalkül zum Oberbürgermeister der Stadt Augsburg gewählt worden war, wurde der damals 44 Jahre alte politische Quereinsteiger mitleidig belächelt. Gribl war nämlich an die Spitze einer Stadt berufen worden, die durch das Laisser-faire einer vermeintlichen politischen Elite zu einer grauen Maus verkommen war. Fünf Jahre nach Gribls Wahl gibt sich die Stadt aufgeweckt und mitunter sogar selbstbewusst. Auch das jahrelang sorgsam gepflegte Selbstmitleid – einschließlich der Larmoyanz der heimischen Unternehmerschaft und Rotary-affiner Zirkel – scheint über Nacht verflogen zu sein. Die Stadt schöpft sogar wieder Hoffnung auf eine längst verloren geglaubte Zukunft. Zeit für eine Bilanz „fünf Jahre Kurt Gribl“.
Die positive Erwartungshaltung, die heute Augsburg beflügelt, kennt kein überschäumendes „Yes, we can!“ Der neue Glaube an Augsburg ist eher von der Einsicht geprägt, dass ein nüchterner Pragmatiker als Stadtoberhaupt mehr zu leisten bereit ist oder leisten kann als ein Politiker, der beruflich nichts anderes als die Politik im Kopf hat. Ein ebenso triftiger Grund scheint zu sein, dass die Stadt erstmals seit zwanzig Jahren einen Oberbürgermeister erlebt, der tatsächlich ein Großprojekt nach dem anderen abarbeitet. Vorhaben, die seine Vorgänger verpennt (Stichwort: Klinikum, Theater Augsburg, Staatsbibliothek), vergeigt (Messe Augsburg) oder nur versprochen (Infrastrukturprojekt Augsburg City) haben. Der Vergleich mag zwar aus historischen Gründen politisch nicht ganz korrekt sein, doch Gribl erinnert, was seine politische Agenda der ersten fünf Jahre betrifft, an den Münchner Nachkriegsbürgermeister Thomas Wimmer und sein „Rama dama“, den legendären Aufruf zur allgemeinen Trümmerbeseitigung.
Die stetig wachsende Überzeugung, die Stadt könne sich doch aus eigener Kraft zu ihrem Vorteil verändern, die neugewonnene Zuversicht, Augsburg sei auf einem guten Weg zu einer modernen Stadtgesellschaft und die Nachricht, dass Augsburg als lebenswerte Stadt wieder an Aufmerksamkeit bundesweit gewonnen habe, mögen am meisten das politische Establishment und seine Claqueure überraschen. Das Paradoxe an dieser atmosphärischen Renaissance, die die alte Reichsstadt erfasst hat, ist der Umstand, dass diese Trendumkehr in der Wahrnehmung der eigenen Stadt keinen politischen Nährboden hat und nicht das Ergebnis von politischen Debatten ist. Es war vielmehr eine stille Metamorphose der Augsburgerinnen und Augsburger „weg vom Politischen zum Pragmatischen“. Die Bürger hatten einfach die Nase voll von der erschreckenden Unprofessionalität, mit der die Stadt verwaltet worden ist. Von der gestalterischen Kraft, die eine ergebnisorientierte Kommunalpolitik sehr wohl entwickeln kann, wagten sie gar nicht zu träumen.



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