In Augsburg waltet nur noch kurze Zeit ein Bibliotheksdirektor seines Amtes, dessen unglaublich offener geistiger Horizont die Bestände der altehrwürdigen Staats- und Stadtbibliothek jahrzehntelang in glänzendem Licht erscheinen ließ.
In der kulturellen und intellektuellen Landschaft der Stadt hat der Homme de Lettres alten Stils prägende Spuren hinterlassen – eine wahre Schatzkiste für den, der willens und fähig ist, sie zu lesen. Ausgebildet ist Dr. Helmut Gier als Literaturwissenschaftler, die Felder indes, die er denkend beackert, sind von grandioser Weite. Das eigentliche „Phänomen Gier“ erschließt sich dem, der das Glück hat, ein Stündchen im Büro des Meisters zu verweilen und dem nie versiegenden Gedankenstrom zu lauschen: ein Quell der Inspiration wird ihm zuteil, kurzweilig und originell, lehrreich auf die denkbar spannendste Art. Die Idiotie, gegen die der Direktor kurz vor seinem Ruhestand anzukämpfen hat, eine Institution wie „die Stabi“ zerschlagen zu wollen, ist selbst für Augsburger Verhältnisse unfassbar.
Ob es der Stil des „Chefs“ ist, der auf die Mitarbeiter abfärbt, oder glückliche Fügung des Zusammentreffens, die Augsburger Staats- und Stadtbibliothek ist eine Behörde, die eigentlich gar nicht existieren dürfte: kompetent, freundlich, unkompliziert, auskunftsfreudig, unbürokratisch, inspiriert und inspirierend. Jeder Benutzer wird dieses Hohelied des Lobes unter Garantie beglaubigen. Dem, der die Münchner Stabi jemals erleiden musste, wird das klassizistische Gebäude in der Schaezlerstraße wie ein Paradies für Bücher und deren menschliche Freunde vorkommen.
Wenn ich im deutschen Bürokratie-Dschungel eine Lieblingsbehörde benennen müsste – die Wahl würde unfehlbar und ohne Zögern auf Helmut Giers Reich fallen.
Sowohl in München wie auch in Augsburg gehört die Rede von „der Stabi“ zu den geflügelten Worten unter Studenten und sonstig Forschenden. Doch während man in der kleineren Stadt stets voller Hochachtung und Wohlwollen von einem Besuch im dortigen Büchertempel spricht, grummelt und brodelt das akademische Volk der Landeshauptstadt. Noch nie hat der selbst leidgeprüfte Berichterstatter einen Stabi-Benutzer getroffen, der nicht in höchsten Tönen über die Rücksichtslosigkeiten und pedantischen Sturheiten der Münchner Bibliotheks-Bürokratie geklagt hätte. Die Mythen der Unerfreulichkeit sind Legende, sie finden sogar Erwähnung in Richard McCormacks berühmter Ethnografie „Tief in Bayern“. Dabei, so versichern Altgediente, seien die Zeiten ja längst vorbei, in denen man Angstzustände gehabt hat vor einem unaufschiebbaren Gang in die Münchner Bücher-Verwahranstalt an der Ludwigstraße, als der nichtswürdige Benutzer – zum Todfeind von Bestand und Personal gebrandmarkt – mit schlotternden Knien vor den hermetisch gesicherten Schaltern stand, hinter denen sich die grantigen Mitarbeiter verschanzt hatten. Es war die heroische Zeit, als es jedem Studenten als Heldentat angerechnet wurde, wenn er der Stabi ein Buch entreißen konnte …



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