Schwaben hat nur wenige außergewöhnliche Architekten. Vielleicht zwei, vielleicht drei. Mit Sicherheit keine vier. Aber einen mit Sicherheit: den Augsburger Titus Bernhard. Er fühlt sich bereits jener Klasse von Architekten zugehörig, die meinen, dass ihre Architektur reif für einen „Weltort für Kunst und Kultur“ ist. Am Berliner Schlossplatz darf Bernhard trotzdem nicht bauen, sondern der umstrittene italienische Architekt Francesco Stella.
Seine Heimat brachte der junge Architekt Bernhard erstmals 2004 in Wallung, als er gegen eine lautstarke Fronde von Kleinbürgern das „Haus 9 x 9“ durchsetzte – eine extravagante Wohnskulptur mit vorgehängter Außenfassade aus Gabionen, mit Steinen gefüllten Drahtkörben.
Mit seiner individuellen Architektursprache hat der heute 49-Jährige die heimischen Haus- und Hofarchitekten in Windeseile hinter sich gelassen. Von den Hilbichs und Schrammels dieser Region trennen ihn seit seinen Anfängen Welten. Heute baut Bernhard in Deutschland, Österreich und Italien exklusive Villen im High-End-Segment. Auch vor den Toren seiner Heimatstadt hätte Titus Bernhard gerne einen architektonischen Leuchtturm aufgestellt. Es hat aber nur zu einer „Unvollendeten“ gereicht, weil er kurz vor Vollendung des Projekts von den Bauherren ausgetrickst worden war. Vier Jahre nach Aufnahme des Spielbetriebs der Profifußballer des FC Augsburg präsentiert sich ihre Arena noch immer als Betonschüssel ohne Kleider.
Von dieser Provokation hat sich Titus Bernhard, dem inzwischen die Kleingeister in und um Augsburg schnuppe sind, nicht entmutigen lassen. Er hat sich vielmehr nach Berlin, an Deutschlands exponierteste Baustelle, gewagt. Er wollte allen Ernstes auf jenem Platz der Spreeinsel, wo einst das Berliner Schloss gestanden hat, seine Architektur sehen. Er wollte jener Architekt sein, der auf dem Gelände, wo sich einst die Residenz der Kurfürsten von Brandenburg, später der Könige von Preußen sowie der deutschen Kaiser befunden und zuletzt die DDR-Diktatur mit ihrem „Palast der Republik“ breitgemacht hatte, den bedeutendsten Repräsentativbau des wiedervereinigten Deutschlands errichten darf. Wenn man einmal vom Reichstagsgebäude absieht. Aber Bernhards Eifer war vergebliche Liebesmüh’.
158 Architekturbüros haben an dem internationalen Wettbewerb teilgenommen, den die Bundesregierung im November 2007 für den Neubau am Standort des früheren Berliner Schlosses ausgerufen hatte. Nach einem Jahr den Siegerentwurf des Architektur- wettbewerbs zu präsentieren, sollte sich für die Bundesregierung ebenso schwierig darstellen wie ihr vergebliches Mühen, für das Bauvorhaben den traditionellen Namen „Berliner Schloss“ durch den Begriff „Humboldt-Forum“ zu ersetzen. Die Berliner Politik zog es wieder einmal vor, aus Angst vor der eigenen Geschichte – sei es der preußischen oder wilhelminischen – auch an diesem Bauvorhaben von internationaler Dimension ihre Janusköpfigkeit zu demonstrieren.
Die Bundesregierung und die neue Bundeshauptstadt Berlin wünschten sich einen architektonischen Zwitter. Sie erwarteten nämlich eine „Teilrekonstruktion des Schlosses im Rahmen einer städtebaulichen Gesamtlösung“. Teile des Schlüter’schen Repräsentationsbaus sollten im protestantischen Barock wiedererrichtet und nach den Vorstellungen der Politik wohl mit einer modernen, ikonografischen Architektur à la Herzog & de Meuron oder eines Frank O. Gehry verschmolzen werden. Durch dieses Muss zur Teilrekonstruktion war ein „Grand Projet“ (André Schmitz) in der Architektursprache des 21. Jahrhunderts am Berliner Schlossplatz von Beginn an ausgehebelt. In ihrer Spitzfindigkeit hat die Bundes- regierung darüber hinaus für den Neubau am Schlossplatz den unverfänglichen Namen „Humboldt-Forum in Berlin“ gewählt, um ja nicht politischen Traditionalisten und vorgestrigen Schlossbefürwortern zugerechnet werden zu können.



AUSGABENARCHIV
02/2006
03/2006
04/2006
01/2007
SA 01/07
02/2007
03/2007
SA 02/07
04/2007
01/2008
SA 01/08
02/2008
03/2008
SA 02/08
04/2008
01/2009
02/2009
03/2009
SA 01/09
04/2009
01/2010
SA 01/10
02/2010
03/2010
SA 02/10
04/2010
SA 01/11
02/2011
03/2011
SA 02/11
04/2011
01/2012
SA 01/12
02/2012
03/2012
SA 02/12
04/2012
01/2013
SA 01/13
02/2013
03/2013
04/2013
01/2014
SA 01/2014
02/2014
03/2014
04/2014
01/2015
SA 01/2015
02/2015
03/2015
04/2015
01/2016
SA 01/2016
02 / 2016
03 / 2016
04/2016
01/2017
SA 02/2017
02/2017
03 / 2017
04/2017
01/2018
SA 02/2018
02/2018
03/2018
04/2018
01/2019
02/2019
03/2019
01/2020
02/2020
03/2020
04/2022
01/2023
02/2023
Architektur
03/2023
04/2023
01/2024
02/2024
Architektur
03/2024
04/2024
01/2025
02/2025
Architektur
03/2025