Beschaulich ging es in Schwabens Fluren bis zur Jahrtausendwende zu. Dann brach über die Region das Unheil herein. Nicola Förg ist ihm 2002 zum ersten Mal begegnet. Dann machten Volker Klüpfel und Michael Kobr eine schreckliche Entdeckung. Willibald Spatz konnte sich ebenfalls dem Grauen nicht entziehen und ließ seinen Gedanken über die Mordlust seiner Landsleute freien Lauf. Überall dort, wo die prächtigsten Kirchtürme über Schwaben wachen, ist nichts als Mord und Totschlag. Gunzesried muss mit dem Tatort „Schussfahrt“ leben, Lindenberg rätselt über die „Strohhutmorde“, Kempten serviert tödlichen „Alpendöner“ und Augsburg sucht verzweifelt den „Plärrer-Killer“. Überall Verbrechen, wohin man im Schwabenland schaut. Besonders kriminell treiben es jedoch die Menschen offenbar dort, wo die Berge himmelhoch in die blauen Lüfte ragen.
Wer hat eigentlich mit dem ganzen Wahnsinn von Mord und Totschlag angefangen? „Das war ich – und das wird auch immer so bleiben“, sagt eine resolute Nicola Förg. Ihre „Schussfahrt“, 2002 erschienen bei Emons in Köln, sei definitiv der erste Allgäu-Krimi gewesen. Regionalkrimi aber – in diese Schublade will sich Förg nicht stecken lassen. Verständlich, denn am Genre scheiden sich die Geister. Viele würden damit Slapstick und Klamauk assoziieren, „aber auch Donna Leon schreibt Regionalkrimis, Wallander spielt in einer bestimmten Region“. Sachte, sachte, möchte man da rufen: Nichts gegen den Erfolg von 1,5 Millionen verkaufter Bücher, aber Commissario Brunetti trägt als Fernsehstar die Kulisse Venedigs in 38 Sprachen rund um den Globus, Henning Mankell schuf Weltliteratur („Chronist der Winde“) an der 40-Millionen-Marke.
Die Orte und Landschaften, in denen sich Mordopfer stapeln, sind fast immer „schön“, „beschaulich“ oder „idyllisch“. Thrill shocks Gemütlichkeit ist das Motto, „Sterben, wo andere Urlaub machen“ ein Kassenschlager: „In Gunzesried ist die Welt noch in Ordnung. Das soll allerdings nicht so bleiben, denn der Baulöwe Rümmele will einen gigantischen Freizeitkomplex errichten, um den Tourismus anzukurbeln.“ Schon Förgs Erstling spielt mit den Antagonismen, die Allgäu wie Allgäu-Krimi prägen: Sehnsucht nach einer Traumlandschaft samt Lust und Last einer ökonomischen Vermarktung. Nicola Förg, Allgäuerin von Geburt und Geblüt, geht in die Vollen, wenn sie den touristischen Jargon abkanzelt, der ihr ein Gräuel ist: „Es lohnt und lockt und bietet – gruselig.“ Als Reisejournalistin ist sie darüber gestolpert, was es bedeutet, wenn „in intakte Bergregionen Event-Castles reingeschlagen werden“. „Schussfahrt“ biete eine „klare Botschaft: Lasst euch nicht nur entertainen“ – und war Startschuss für „elegante Sozial- und Umweltkritik“ im Krimiformat. Orte, Kommissare und Skandale mögen sich geändert haben, die „Botschaft“ bleibt: Autorin Förg wünscht sich einen Nachhall, jede Emotion kann sie erfreuen – Betroffenheit, Frustration, Ratlosigkeit. Heute produziert Förg „Alpen-Krimis“, jüngst erschien „Das stille Gift“ bei Piper, stellt die Machenschaften der Agrarmafia an den Pranger, den Unsinn der Biogasanlagen: „Ich mache das, was ich vor meiner Nase habe. Ein Krimi über Wirtschaftskriminalität, das bin ich nicht. Ich bin die Landwirtin für Arme, weil ich Heu mache und mit der Motorsäge umgehen kann.“



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