Dr. Theo Waigel, Bundesfinanzminister a. d., ehemaliger CSU-vorsitzender und noch immer Schwabens politisches Aushängeschild, über Ehrbarkeit und Freundschaften in der Politik, seine ersten Wahlkämpfe, den wirtschaftlichen Aufschwung Schwabens, das langjährige Mauerblümchen Augsburg und das Kreuz mit den Flüchtlingen.
Ein herrlicher Augustnachmittag in Seeg im schwäbischen Landkreis Ostallgäu. Dort, wo das Schwäbische bayerischer und ganz bestimmt nicht weiß-blauer sein könnte, ist Theo Waigel (76) heute zu Hause. In der Heimatgemeinde seiner zweiten Ehefrau, der ehemaligen Skirennläuferin und promovierten Ärztin Irene Epple-Waigel. Ein wenig abseits der Dorfmitte, in einer ganz ruhigen Ecke, liegt das Haus, in dem der ehemalige Bundesfinanzminister und CSU-Vorsitzende lebt. Es ist ein Haus mit Garten, wie es sich ein Schwabe in die Allgäuer Landschaft baut, der es zu etwas gebracht hat. Keine Bauhaus-Kopie, keine zu groß geratene Lederhose. Nichts zum Protzen und Repräsentieren, sondern zum Leben und Wohlfühlen. Der Rasen ist mehr Wiese als Rasen. Zwischen Bäumen sind eine Hängematte und eine Slackline gespannt. In der einen lässt die Hausfrau alle Viere gerade sein, wenn einmal Zeit dafür ist. Auf der anderen balanciert sie täglich, bestechend trittsicher, um gegen ihre Arthrose anzukämpfen.
Theo Waigel und seine Frau sind gerade von ihrem Besuch beim Physiotherapeuten zurückgekehrt. Man achtet auf die Gesundheit und beugt so den altersbedingten Wehwehchen vor. Irene Epple-Waigel bittet die Besucher herein. Der Hausherr macht sich noch frisch. Vor der Terrasse plätschert ein Quellstein. Bei gut über 30 Grad findet sich ein Schattenplätzchen, an dem es sich in den nächsten drei Stunden aushalten lässt. Der Tisch ist schnell mit Kaffee, Wasser und Kuchen gedeckt. Theo Waigel kommt lockeren Schrittes. Sein herzliches Grüß-Gott ist von früheren Begegnungen vertraut. Der Handschlag fest. Der Mann scheint kaum zu altern. Nach mehr als 50 Jahren in Politik und Wirtschaft. In Sphären, wo die Luft schon immer sehr dünn war. Inzwischen hat sich Theo Waigel an seine Memoiren gemacht. Immerhin reicht sein politischer Lebensbogen weit zurück bis in die Ära von Franz-Josef Strauß. Der Höhepunkt seiner politischen Karriere war wohl seine Zeit als Bundesfinanzminister während und nach der Deutschen Wiedervereinigung. Zugleich trat das Projekt „Europäische Wirtschafts- und Währungsunion“ mit den Vorarbeiten zur Einführung der Gemeinschaftswährung „Euro“ in die entscheidende Phase. Theo Waigel, dem Sohn eines Nebenerwerbsbauern und Maurerpoliers aus der Ursberger Gemarkung Oberrohr, war es also vergönnt, gleich zwei historische Einigungsprozesse mitgestalten zu können: den deutschen und den europäischen. Das reicht allemal für eine gewichtige politische Autobiographie, die sein Parteifreund Edmund Stoiber – seit Jahren Theo Waigel in herzlicher Abneigung verbunden – mangels Präsenz bei und Einfluss auf weltpolitische Ereignisse niemals wird toppen können. Wegen des Titels für seine Erinnerungen und wann sie erscheinen sollen, bittet er sich noch Bedenkzeit aus. An diesem Nachmittag unter einem sonnentrunkenen Himmel über Seeg gibt Theo Waigel in einer Tour d’Horizon Überraschendes, Erheiterndes, Unmissverständliches und Bedenkenswertes zum Besten. Er zeigt sich sowohl nachdenklich als auch unerbittlich in seinem Urteil. Klartext kann sich Theo Waigel leisten. Er war niemals in Skandälchen oder gar Skandale verstrickt. Wenn einem übel mitgespielt wurde, dann höchstens ihm. Seine Erfahrung hätte ihn lehren müssen, dass Parteifreunde vor Untergriffen nicht zurückschrecken, wenn die Machtfrage gestellt wird. Seiner CSU hält der Ehrenvorsitzende weiterhin unverbrüchlich die Treue. Auch wenn der zweite Ehrenvorsitzende der bayerischen „Einheitspartei“ Edmund Stoiber heißt.
Theo Waigel über seinen ersten Wahlkampf. 1966 kandierte er für den Kreistag des früheren Landkreises Krumbach: „… Wir haben als Junge Union innerhalb der CSU einen separaten Wahlkampf geführt. Wir haben eine Versammlung nach der anderen gemacht, wo nur wir von der Jungen Union aufgetreten sind. Einem Schmiedemeister hat das gar nicht gepasst, dass wir so frech waren und eine neue Kommunalpolitik gefordert haben. Er meldete sich zu Wort und meinte: ‚Wenn ihr a Million mitbringet, dann könntet ihr kandidiere.‘ Da bin ich aufgestanden und habe ihn gefragt: Wie viel haben Sie mitgebracht, als Sie in den Kreistag gekommen sind? Er blieb die Antwort schuldig. Da stellte ich schlicht und ergreifend fest: Wenn Sie nichts mitgebracht haben, bringen wir auch nichts mit! Sechs Kandidaten der Jungen Union haben wir am Ende durchgebracht.“ Waigel war damals knappe 27. Er muss in jenen Wochen sehr wortgewaltig aufgetreten sein. Die Einschätzung aus dem Publikum, so jung und schon so a Gosch, ist ihm nicht verborgen geblieben. Der Rat eines alten Allgäuers, als die Gemeinde Ebershausen in den 1960er-Jahren händeringend nach einem Anwärter für das Bürgermeisteramt Ausschau hielt, sollte Theo Waigel bis heute nicht vergessen: „S´Amt muaß zum Moa komma, nicht a Moa zum Amt!“ Ob er die Empfehlung bei allen politischen Entscheidungen befolgt hat, kann nur er beurteilen.