Der Exitus des Stadttheaters und der Groll von Wolfgang Amadeus und Leopold Mozart auf die alte Reichsstadt haben eines gemeinsam: das vernunftwidrige Verhalten der Augsburger zur Hochkultur.
Schon die Mozarts, Vater Leopold und sein Sohn Wolfgang Amadeus, hatten – entgegen der offziellen Augsburger Geschichtsschreibung – mit Augsburg nichts am Hut. Der weltberühmte Komponist hat sich vielmehr abfällig über die Geburtsstadt seines Vaters geäußert und nach einem seiner wenigen Besuche in der Fuggerstadt an den Augsburgern kein gutes Haar gelassen, weil sie seine Kunst nicht gebührend zu schätzen wussten. Das Verhältnis der Augsburger zur Hochkultur scheint sich seither nicht zum Besseren gewandelt zu haben. Gut 200 Jahre später muss nun das Große Haus des Augsburger Theaters geschlossen werden, weil das Gebäude inzwischen eine Gefahr für Leib und Leben der Künstler und Besucher darstellt. Die Mozarts würden sich wohl im Grabe umdrehen, wenn sie wüssten, dass sich Augsburg trotzdem anmaßt, die deutsche Mozartstadt zu sein. Überall im deutschsprachigen Raum würde die mehrjährige Schließung eines Stadttheaters, weil Kommunalpolitiker es zur Bruchbude verkommen lassen haben, als Skandal bezeichnet werden. Nicht so in Augsburg. Selbst die bedeutendste Stimme der Region, die „Augsburger Allgemeine“, ist bisher nicht auf die Idee gekommen, in diesem Zusammenhang das Wort Skandal zu gebrauchen. Für die Zeitung scheint der Augsburger „Bühnen-Tod“ nicht mehr als ein ortsüblicher Betriebsunfall zu sein. Auch das „Nichtverhältnis“ der Mozarts zur und ihr Groll auf die Reichsstadt sind bis heute in Augsburg ein Tabu.
Jetzt ist es tatsächlich passiert. Das undenkbare Vorhersehbare. Schwabens bedeutendste Bühne, das Große Haus des Augsburger Theaters muss für mindestens sechs Jahre, wenn es dabei bleiben sollte, seine Pforten schließen. 72 Jahren nach den Bombenschäden des Zweiten Weltkriegs befindet sich das Theater in einer ähnlich katastrophalen Lage. Hunderte Stadträte, mehrere Kulturausschüsse und eine Handvoll Kulturreferenten haben so lange geschlampt, bis der Worst-Case eintreten musste und jetzt die drittgrößte Stadt Bayerns künftig mit einer Wanderbühne vorlieb nehmen muss.
Als in den 1980er-Jahren die Bayerische Staatsregierung ein landesweites Theatersanierungsprogramm auflegte, um die nach den Kriegswirren eilig renovierten bayerischen Bühnen aufzumöbeln, hat auch Augsburg Hilfen aus München bekommen. Jedoch floss nur ein Teil des zweistelligen Millionen-DM-Betrages in die Renovierungsarbeiten, der andere wurde zweckentfremdet in den laufenden Betrieb eingespeist. Der erbärmliche Zustand der Infrastruktur des Theaters war allen Stadtregierungen seit Beginn der Amtszeit von Oberbürgermeister Peter Menacher bekannt. Alle Kulturreferenten seit den 1990er-Jahren zeichneten sich durch die Gabe aus, die Augen vor der Ruine am Kennedy-Platz fest zu verschließen. Ludwig Kotter, Eva Leipprand („Politik zum Selbermachen“) und Peter Grab vertrösteten die Intendanten Helge Thoma, Peter Baumgardt und Juliane Votteler von Spielzeit zu Spielzeit und pflegten lieber ihre persönlichen Steckenpferde, um den Eindruck zu erwecken, sie würden ganz spezielle, besonders innovative kulturelle Akzente setzen. Den aktuellen Kulturreferenten exkulpiert in Sachen Theater die Gnade der späten Geburt.
Von Thomas Weitzels Vorgängern hatte keiner den Mumm aufgebracht, sein politisches Schicksal mit der seit langem überfälligen Theatersanierung zu verknüpfen. Das Ergebnis ist nun ein einmaliger kultureller Crash, vergleichbar mit einem Auffahrunfall, ausgelöst von uneinsichtigen Rasern auf der Autobahn. Kotter fuhr als Erster in die Gefahrenstelle, Leipprand und Grab fuhren hintereinander mit Karacho auf. Das Schlachtfeld ist multiplex und von Geschädigten übersät: eine Heerschar verstörter Ballett-, Sprech- und Musiktheaterfreunde, eine in Grabenkämpfe verstrickte Kulturszene, ein in hohem Maße verunsichertes künstlerisches Ensemble, Musiker, Schauspieler, Sänger und Tänzer, deren Lebensplanung durch Augsburg auf den Kopf gestellt wird.



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