Dr. Christian Boeser lehrt an der Universität Augsburg und beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit dem Thema Streit. Im Gespräch mit edition:schwaben erklärt er, wie man gut streitet, warum die besonnene Auseinandersetzung mit Rechtspopulisten wichtig ist und welche Rolle Robert Habeck in der politischen Streitkultur spielt.
Herr Boeser, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit dem Thema Streit. Wie steht es um die Streit- und Debattenkultur in unserer Gesellschaft?
Aus meiner Sicht gibt es zwei Probleme: Das eine ist die Streitvermeidung, das andere ist der feindselige Streit. Beides hängt zusammen: Menschen vermeiden oftmals die offene Auseinandersetzung aus Angst vor feindseligem Streit, sind dann jedoch so
frustriert, dass sie irgendwann in den feindseligen Streit hineinrutschen. Der aber ist so anstrengend und zerstörerisch, dass sie wieder zurückrutschen in die Streitvermeidung. Diesen Teufelskreislauf gilt es zu durchbrechen. Meine provokante These ist: Streit
ist ein Ausdruck von Wertschätzung für mich selbst, für die andere Person, für das Thema und auch für die Gesellschaft insgesamt.
Wie sieht denn ein guter Streit aus?
Ein guter Streit zeigt, dass ich mich für die Position des anderen interessiere. Nicht nur für ein paar Stichworte, sondern für seine wirkliche Position. Das bedeutet, ich muss nachfragen „Worum geht es dir?“, „Warum sagst du das so?“. Wenn ich mich wirklich interessiert habe, kann auch ich mich zeigen mit dem, was mir wichtig ist, mit Werten, mit Inhalten, mit Interessen. Ein Problem beim Streiten sind Fehlinterpretationen. Wenn ich das Verhalten des anderen als feindselig interpretiere, obwohl es gar nicht so gemeint war, dann verhalte ich mich eventuell auch feindseliger, reservierter. Daraufhin wird sich der andere ebenfalls feindselig verhalten. Wir brauchen deshalb ein Denken in Wechselwirkungen. Für einen guten Streit ist es wichtig, zu akzeptieren, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gibt. Oftmals haben wir es mit Werten zu tun, die in einem Spannungsfeld zueinanderstehen. Das Thema Gendern ist ein gutes Beispiel dafür. In unserer Gesellschaft gibt es einen breiten Konsens, dass Sprache nicht ausgrenzen soll. Es gibt aber auch einen sehr breiten Konsens, dass man frei sprechen können soll. Diese beiden Werte stehen in Spannung zueinander. Wenn wir das anerkennen, können wir auf einem ganz anderen Niveau darüber streiten, wo gendersensible Sprache und wo freie Sprache angemessen ist. Der letzte Punkt eines guten Streits ist die Großherzigkeit mit sich und dem anderen sowie die Akzeptanz,
dass wir in vielen Streitgesprächen „scheitern“ können. Zu einem passenden Zeitpunkt kann man dann einen neuen Anlauf unternehmen.



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