Wer am Frühstückstisch die Nachrichten von den jüngsten Gräueltaten in den syrischen Städten Aleppo und Homs liest, am Abend die Fernsehbilder von den verzweifelten Menschen inmitten ihrer vom Bür- gerkrieg zerstörten Straßenzüge sieht, wird sich dem Schrecken und dem Leid der Zivilbevölkerung nicht ganz entziehen können. Einzelne packt die Wut über das sinnlose Gemetzel der Macht wegen. Andere wiederum diskutieren über die Hilflosigkeit der Weltgemeinschaft. Ein paar Weichherzige kommen einem Spendenaufruf nach. Die meisten Menschen verhalten sich jedoch indifferent und zu guter Letzt passiv. Nur ganz wenige fühlen sich von den Berichten so tief berührt, dass sie sich selbstlos in ein Katastrophen- oder Kriegsgebiet aufmachen, um dort medizinische oder technische zu Hilfe leisten.
Was treibt nun diese Menschen an, die als Krankenschwestern, Ärzte oder Ingenieure für Hilfsorganisationen wie „Cap Anamur“ oder „Ärzte ohne Grenzen“ die Sicherheit und die Annehmlichkeiten der Heimat für einige Monate mit einem Feldbett im Bombenhagel vertauschen? Warum stehen manche Mediziner in ihrem Urlaub lieber am Operationstisch in fernen Ländern als an einer Strandbar? Autor Jürgen Schmid hat sich mit einigen der selbstlosen Helfer aus Bayerisch-Schwaben getroffen.
Wer einen unbezahlten Job bei „Cap Anamur – Deutsche Not-Ärzte e. V.“ ergattern will, muss erst einmal die Grenzen der eigenen Geduld ausloten. Denn offenbar irrt, wer glaubt, derartige Hilfsorganisationen würden eine erfahrene Krankenschwester wie Stephanie Günther aus Zusmarshausen mit Handkuss aufnehmen, wenn sie unbedingt in einem Krisengebiet wie dem irakischen Kurdistan arbeiten möchte. Ihr Arbeitgeber, ein großes Krankenhaus in der Region, hatte im Herbst 1990 ihren Antrag auf ein halbes Jahr unbezahlten Urlaub abgelehnt. Von solch bürokratischen Querköpfen wollte sich die selbstbewusste Frau aber nicht abhalten lassen und hat sogar die Kündigung des Arbeitsverhältnisses erwogen. Dann verfiel sie auf die Idee, zwei Jahresurlaube zusammenzulegen, was wiederum nicht ganz den Vorstellungen ihres Ehemannes entsprach. Nachdem dieses Thema privatissime geklärt wurde, genügte ihr Engagement wiederum den Richtlinien von Cap Anamur nicht: Die Verantwortlichen bestanden auf einem Einsatz über volle sechs Monate, wie es die Statuten der 1982 gegründeten Hilfsorganisation vorschreiben. Spätestens an diesem Punkt hätte wahrscheinlich jeder andere Gutwillige seiner Enttäuschung über die immer neuen Hürden, die sich ihm in den Weg stellten, freien Lauf gelassen – und das Angebot einer Mitarbeit zurückgezogen. Nicht so Stephanie Günther: „Ich bin trotzdem gegangen“, erzählt sie in einem freundlichen Ton, der allerdings kaum Widerspruch in der Sache gestatten dürfte, wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat. Da es offensichtlich auf offiziellem Weg nicht möglich war, für „Cap Anamur“ im irakischen Kurdengebiet zu arbeiten, kam die Krankenschwester auf die Idee, auf eigene Faust anzureisen und dann ihren Dienste einfach vor Ort anzubieten: „Kurzum, ich habe meinen Flug selber bezahlt.“