Im schwäbischen Oberschönegg wird dieses Jahr gefeiert. Wenn auch coronabedingt deutlich zurückhaltender als geplant. Immerhin begeht der größte Betrieb der 1.000-Seelen-Gemeinde sein 100-jähriges Jubiläum. Damals, als Alois Ehrmann 1920 die Molkerei gründete, war die Region Donau-Iller noch eine Bilderbuchlandschaft, die jeder von uns vor seinem inneren Auge hat, wenn er heute an Milchviehhaltung und Milchverarbeitung im Allgäu denkt. Simone Kimmel stattete anlässlich des Jubeljahres einen Besuch bei „Almighurt“, „Grand Dessert“, „High Protein“ und „Nikos“ ab.
Aus dem ehemaligen Einmannbetrieb ist inzwischen ein global agierendes Familienunternehmen geworden. Ehrmann beliefert heute etwa 70 Länder und produziert in Bayern und Sachsen, in Russland und Brasilien. Ob Fruchtjoghurt oder Dessertprodukt – in allen Segmenten, in denen Ehrmann mit seinen Milchprodukten präsent ist, ist die Familienmolkerei Marktführer oder rangiert auf Platz 2. Seit 2006 führt Christian Ehrmann, ein Enkel des Firmengründers, die Geschäfte.
Von der Straße aus ist das zweistöckige Haus kaum zu sehen. Dichte Bäume versperren die Sicht. Ohnehin wird der Blick auf die daneben aufragenden Kühltürme gelenkt. Wie ein Relikt aus der guten alten Zeit des Prinzregenten Luitpold wirkt das alte Haus heute auf dem weitläufigen Areal der Firma Ehrmann. Und doch ist es gewissermaßen die Inkunabel der erfolgreichen Geschichte der Oberschönegger Molkerei. Ab 1929 war es das Wohnhaus von Alois Ehrmann, der neun Jahre nach der Gründung seiner Käserei den Firmensitz in die Unterallgäuer Gemeinde nahe Babenhausen verlegte.
Aus 500 Litern Milch am Tag produzierte Alois Ehrmann sen. seinerzeit Butter und Käse. Heute machen täglich knapp 500.000 Liter verarbeitete Milch den Betrieb zu einer der führenden Molkereien Deutschlands. Käse und Butter werden bei Ehrmann allerdings schon lange nicht mehr hergestellt. Als mit Alois Ehrmann jun. und Anton Ehrmann im Jahr 1960 die zweite Generation das Familienunternehmen übernahm, veränderte sich auch die Produktpalette. Die Brüder setzten vor allem auf Joghurt, Quark und Dessertprodukte und verschrieben sich damit der weißen Linie der Milchwirtschaft. 1964 hatten die beiden eine Idee mit durchschlagendem Erfolg. Sie rührten kalte Früchte in den Joghurt und voilà: Geboren war der heutige Ehrmann-Klassiker „Almighurt“. In den 60er-Jahren eine Innovation, sichert er sich bis heute als Verbraucherliebling einen der vordersten Plätze im Kühlregal der deutschen Handelsriesen. Im Bereich Fruchtjoghurt ist Ehrmann mit einem Umsatzanteil von 13 Prozent deutscher Marktführer.
Unter der Leitung der beiden Brüder des Firmengründers wuchs nicht nur die Produktpalette der Molkerei, auch das Unternehmen vergrößerte sich sukzessive: 1989 kaufte Ehrmann die Fleischwerke Edmund Zimmermann in Thannhausen zu. 1992, nach dem Fall der Mauer und der deutschen Wiedervereinigung, lachte sich Ehrmann gemeinsam mit der Kemptener Käserei Champignon die sächsische Molkerei Hainichen-Freiberg an. An dem Allgäuer Traditionsunternehmen J.M. Gabler Saliter, auf Kaffeesahne und Kondensmilch spezialisiert und deutschlandweit eine bekannte Marke, erwarb Ehrmann 1998 die Mehrheit der Gesellschaftsanteile. Und auch das Firmengelände in Oberschönegg legte an Fläche und Gebäuden zu. Oberschönegg ist heute vor allem Ehrmann. Mit 730 Angestellten hat die Firma heute doppelt so viele Mitarbeiter wie das Dorf Einwohner zählt. Schon von Weitem sind auf einer Anhöhe die in verschiedenen Grüntönen gestrichenen Produktionshallen des Familienbetriebes zu sehen. Das Verwaltungsgebäude ist von außen betrachtet ein in die Jahre gekommener, schlichter Bau, über dessen rot markiertem Eingang der charakteristische Schriftzug von Ehrmann prangt. Typisches schwäbisches Understatement. Erst das Gebäudeinnere offenbart, dass man in Oberschönegg auch eine moderne Architektursprache zu sprechen versteht. Hell, licht, transparent schrauben sich Lift und Treppenhaus in der Senkrechten nach oben. Von Etage zu Etage werden die Flure und Räume offener und fashionabler.