Ausgabe 02/2018 · Feuilleton

Das Geschenk

Der Vorgang, den es in seinem Wesen zu beschreiben gilt, war nahezu in allen Kulturen mal eine religiöse Zeremonie, mal eine politische Gunstbezeugung, mal ein ganz individueller Akt. Konkret geht es um das Schenken, „die freiwillige Eigentumsübertragung einer Sache oder eines Rechts an den Beschenkten ohne Gegenleistung“. Die Wurzeln des Schenkens reichen weit zurück in die Menschheitsgeschichte, und der Schenkende wollte dem Beschenkten stets uneigennützig eine Freude bereiten. Nach landläufigem Verständnis ist Uneigennützigkeit das Wesen jedes Geschenks. Möchte man meinen. In Augsburg legen ein Unternehmer und die ihm wohlgesonnene „Augsburger Allgemeine“ den Kerngedanken von einem selbstlosen Gabenaustausch jetzt auf eine äußerst eigenwillige Art und Weise aus.
Der gescheiterte Bauunternehmer Ignaz Walter scheuchte Ende April die Augsburger Stadträte mit seinem Ansinnen auf, er wolle eine „exklusive Tiefgarage“ unter der Fuggerstraße, der zentralen Verkehrsachse zwischen Königsplatz und dem Stadttheater, errichten. Und damit gedankenfaule Augsburger noch vor dem ersten Spatenstich mitbekommen, welche Wohltat die künftige „Fugger-Makro-Tiefgarage“ für die Stadt und ihre Bürger sei, bediente sich Walter der „Augsburger Allgemeinen“, um die Augsburger auf den richtigen Trichter zu setzen. Den Lautsprecher für Walters Garagenpläne machte Jürgen Marks, stellvertretender Chefredakteur der „Augsburger Allgemeinen“. In seinem Bericht „Ignaz Walter macht der Stadt ein Angebot“ (25. April 2018) wurde Marks nicht müde, Walter als Philanthropen zu zeichnen, der seine Heimatstadt liebe und der seiner Vaterstadt mit dem Bau einer Tiefgarage nur einen Gefallen tun möchte. Um die Generosität des Unternehmers den Lesern der „Augsburger Allgemeinen“ nahezubringen, zitierte Marks in seinem Bericht Ignaz Walter gleich dreimal mit dem Wort „Geschenk“: Von einem „Jahrhundert-Geschenk“ für die Augsburger, dass man „ein solches Geschenk“ nicht ablehnen könne, dass insbesondere für die Theaterbesucher eine nahe Garage ein „Geschenk“ sei, war bei ihm zu lesen. Solche Purzelbäume schlägt man als Autor nur, wenn man sich der gebotenen journalistischen Distanz entledigt hat. Die Kernfrage, welche Aufenthalts- und Lebensqualität Augsburg künftig seinen Bürgern in der City bieten soll und die eigentlich am Beginn jeder verantwortungsvollen Diskussion über neue, innerstädtische Parkräume stehen müsste, sparte die Zeitung in diesem wundersamen Bericht geflissentlich aus.

aus Ausgabe 02/2018

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