Ausgabe 01/2016 · Wirtschaft – Dierig

Ein Gold Dollar…

… oder die sieben Leben der Dierig-Gruppe.

Zu Beginn der 1990er-Jahre trafen sich zwei Augsburger Unternehmer, um deren Geschäfte es damals nicht zum Besten stand, am Arlberg zum Schifahren. Der eine war der Papierfabrikant Clemens Haindl, der andere der 20 Jahre jüngere Christian Dierig, Spross aus deutschem Textiladel. Beide Herren, für ihre zuweilen lockeren Sprüche und eine Portion Selbstironie bekannt, räsonierten, wer wohl von beiden als Erster seine Firma zusperre, den Schlüssel wegwerfe und Insolvenz anmelde. Wie diese Geschichte ausgegangen ist, ist bekannt: Das alteingesessene Augsburger Unternehmen Haindl gibt’s nicht mehr und es ist heute Teil des finnischen Konzerns UPM (Siehe Seite 40). Und Christian Dierig (58) hat als Vorstandsvorsitzender der Dierig Holding den Turnaround seiner Firma geschafft, der Mitte der 1990er so unwahrscheinlich erschien wie die Aussicht, über Mitteleuropa das Leuchten des Polarlichts zu erleben. Inzwischen gibt’s manchmal den nächtlichen Feuerzauber „Aurora borealis“ über Deutschland, und die Firma Dierig ist immer noch ein ansehnlicher Player im Textilgeschäft, der sich obendrein mit wachsendem Erfolg in der Immobilienbranche breitmacht. 73,1 Millionen Euro Jahresumsatz, 203 Mitarbeiter und ein Jahresüberschuss von 2 Millionen Euro sind die aktuellen Zahlen.

Die familiäre und unternehmerische Historie der Dierigs beginnt in der Frühzeit der industriellen Revolution am Beginn des 19. Jahrhunderts und ist in ihrer Dramatik vergleichbar mit dem Geschick, das der Familie Buddenbrook in Thomas Manns berühmtem Gesellschaftsroman widerfährt – nur dass das Pendel des Schicksals bei den Dierigs in den gut 200 Jahren Familiengeschichte noch viel weiter ausgeschlagen hat, dass die wirtschaftlichen und familiären Höhen und Tiefen keine Kopfgeburten eines begnadeten Schriftstellers, sondern Realität gewesen sind, dass die Familie im Gegensatz zu den Buddenbrooks alle Schicksalsschläge, Kriege und Krisen mit geradezu preußischem Pfichtbewusstsein bewältigt hat und heute immer noch ein Unternehmen kontrolliert, dessen ökonomischer Erfolg – wie zu Gründerzeiten – weiterhin auf Erzeugnissen der Textilindustrie beruht und zunehmend von seinem behutsamen, jedoch durchaus spektakulären Vorgehen im regionalen Immobiliengeschäft beflügelt wird.

Die Tragödien und Heimsuchungen – wie sie die Dierigs durchmachten – muss eine Unternehmerdynastie erst einmal wegstecken: den Freitod mehrerer Familienmitglieder, als die Russen gegen Ende des Zweiten Weltkriegs auf ihren Stammsitz Langenbielau zumarschierten, den Verlust aller Fabriken und Liegenschaften in der heutigen polnischen Wojewodscha Dolnoslaskie sowie in der vormaligen Ostzone, der späteren DDR. Eine mehrjährige Verluststrecke in zweistelliger Millionenhöhe erscheint im Nachhinein eine der erträglicheren Prüfungen gewesen zu sein.

aus Ausgabe 01/2016

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